Siegfried A. Fruhaufs "Zerlöschungen" thematisieren einen Grundkonflikt innerhalb rechtlicher Auseinandersetzungen und Verfahren: Gibt es ein Recht
darauf, von einer Person oder einem Sachverhalt alles zu erfahren? Und wieviel ist ein abschließendes Urteil wert, wenn bei seinem Zustandekommen viele Details der "Wahrheit" nicht wahrgenommen
werden konnten?
Was also bleibt vom hehren Anspruch auf "Wahrheit", wenn wir mit Schwärzungen konfrontiert sind, die uns von der "ganzen Wahrheit" ausschließen? Werden Texte oder Akten geschwärzt, bleiben Reste, Fragmente, es bleibt das Gefühl, nicht alles zu erfahren, nicht alles zu wissen. Ein Gefühl, dass die essenzielle Neigung des Menschen, seine schier unstillbare Neugier stillen zu können, physisch und deutlich sichtbar konterkariert. Man würde gerne unter die dichte schwarze Decke blicken, denn vielleicht verbirgt sich gerade darunter das Wesentliche. Eine bemerkenswert ästhetische Faszination geht von den Schwärzungen aus, verwandeln sie doch Schrift in komplexe grafische Strukturen und Schichtungen.
(Georg Wilbertz)