MARE IMBRIUM

A 2024 | DCP | b&w | Dolby 7.1 | 12 Minutes

Vor einiger Zeit konnte ich eine ebenso faszinierende wie gewöhnliche Aufnahme machen: die Spiegelung des Vollmondes auf der Meeresoberfläche. Der Reiz, der von dieser doppelten Reflexion des Sonnenlichtes, von der Mond- über die Wasseroberfläche, ausgeht, brachte mich zur dritten Ebene der Reflexion - das Lichtspiel auf der Kinoleinwand.  

Mare Imbrium formt eine filmische Genesis, gebildet aus den Voraussetzungen des Sehens. Alles beginnt mit Licht-Partikeln, elementare Teilchen aus Reflektionen eines Körpers auf einem bewegten Untergrund. Die flirrenden, tanzenden Partikel sind in einer Figur, dann in zwei weiteren inmitten von Schwarz gefasst, ein ansteigendes Knistern orchestriert den Rhythmus. Diese gestalteten Ausschnitte einer Wirklichkeit aus Licht und Körper transformieren in eine Art elektro-magnetisches Feld, in ein a-semantisches Rauschen. Brausender Niederschlag und schäumende Gischt, ein Regenmeer (so der deutsche Name für Mare Imbrium, mit dem eine jener dunklen Stellen auf dem Mond benannt worden ist) schält sich assoziativ aus dem visuellen Gewimmel. Damit beginnt mit einfachsten Mitteln eine Reise durch Raum und Zeit. In diesem neuen, nach- oder meta-physikalischen Zustand verselbständigt sich die Gestalt der Partikel, wird abstrakter bzw. formiert sich zu einem Zeichensystem, einem Code, es ist, als ob Lettern durch den Raum fliegen, ein neues, video-graphisches Alphabet. Der experimentelle Demiurg, der dieses Formengestöber einer fremden Schrift hervorruft, appelliert nunmehr an die Macht seiner Maschine, den proto-ästhetischen, non-materiellen Eigensinn des Bildes und seiner Bewegungen in einem kreatürlichen Delirium zu verwirklichen. Eine Art elektronisches Drip-Painting. Ein Chaosmos aus Licht und supernatural bodies. Und schafft Analogien. Plötzlich wird der analoge Mond sichtbar, er befindet sich über einem analogen Auge, Pupille und Mond vereinen sich, ein Neues Sehen. In der letzten Phase legt sich eine Art Haut, poröse Membran – die fotochemische Schicht eines von Wasser zerstörten Filmstreifens – über den Mond, ihr organisches Sein oszilliert mit dem Flux der vibrierenden Neuen Materie. Und dann flirren die Partikel ein letztes Mal, verschwinden im Nichts. Ein mächtiger, kreativer Bild-Akt.

(Marc Ries/ Kursive Passagen: Siegfried A. Fruhauf)

 

Um den Mond zu sehen, kann man in der Nacht zum Himmel blicken. Oder in diesem Film die Lichtreflexionen auf der Leinwand beobachten, wie sie, zunächst digital, dann analog, zu einem Mond werden. Weiß auf Schwarz liefert Mare Imbrium ein faszinierendes Schauspiel von Tränenmeeren und Mondaugen.

(Michael Pekler - Diagonale)

 

 

Den Mond beobachten

Es ist nicht das erste Mal, dass der Regisseur Siegfried A. Fruhauf den Himmel und all die Schönheit, die er uns zu bieten hat, beobachtet hat. Man denke zum Beispiel an den interessanten Experimentalkurzfilm Realtime (2002), in dem durch die Beobachtung eines Himmelskörpers ein wahres Wunder auf der Kinoleinwand geschah. Im Falle des Kurzfilms Mare Imbrium, der auf der Diagonale 2024 in der Sektion Innovatives Kino uraufgeführt wurde, ist der große Protagonist genau der Mond. Auf wie viele Weisen können wir den Mond beobachten? Und vor allem, wie können wir die ganze Schönheit genießen, die uns eine solche Erfahrung vermitteln kann?

In Mare Imbrium wird uns der Mond also nicht direkt gezeigt. Zumindest nicht sofort. Ein paar weiße Punkte erscheinen auf der Kinoleinwand auf einem völlig schwarzen Hintergrund. Was könnte das wohl sein? Nach und nach erscheinen immer mehr Punkte, und bald wird klar, dass es sich tatsächlich um die Spiegelung des Mondes auf dem Meer bei Nacht handelt. Eine äußerst minimalistische Musik (von Siegfried A. Fruhauf selbst) begleitet uns während des gesamten Films und erinnert uns oft genau an das Rauschen der Wellen.

Wie bereits erwähnt, ist also in Mare Imbrium der Mond der große Protagonist. In ähnlicher Weise betrachtet der Regisseur aber vor allem das Konzept der Projektion. Das Bild des Mondes, das auf die Meeresoberfläche projiziert wird, wenn es keine andere Lichtquelle gibt, die das Ereignis „stören“ könnte, wird zunächst digital, dann analog gefilmt. Das Meer wiederum wird sozusagen zur Projektionsfläche. Und so kommt wieder einmal unser geliebter Film ins Spiel. Dieses wunderbare Spektakel wird wiederum auf eine Kinoleinwand projiziert. Film und Film im Film. Doch wie verändert sich gerade die Welt der siebten Kunst?

In Mare Imbrium weiß Siegfried A. Fruhauf genau, was er uns mitteilen will. Wir verstehen das sofort in dem Moment, in dem sich die digitalen Bilder in analoge Bilder verwandeln, und dann nach einer präzisen elliptischen Struktur wieder digital werden. Das Verständnis des Filmemachens hat sich heute im Vergleich zu früher stark verändert. Doch die Faszination des Films ist unverändert. Was erwartet uns in der Zukunft?

Mare Imbrium will (scheinbar) keine sicheren Antworten darauf geben, aber indem der Film uns zum Nachdenken bringt, bietet er uns ein Spektakel von magnetischem Charme und unbestrittener Schönheit. Oft braucht es keine Spezialeffekte, um wie hypnotisiert vor einer Kinoleinwand zu bleiben. Siegfried A. Fruhauf weiß das, und er hat bei der Inszenierung seines kleinen wertvollen Films auf jedes Detail geachtet. Sein Mare Imbrium ist ein wahres Seh- und Hörerlebnis. Ein Kurzfilm, der aktueller ist denn je. Eine aufrichtige und ehrfürchtige Liebeserklärung an die siebte Kunst.
(Marina Pavido - Cinema Austriaco)

 

 

Siegfried A. Fruhauf: akus­ti­sches Sirren, optisches Flirren

 

Siegfried A. Fruhaufs Mare Imbrium (der Titel benennt eine der auf dem Mond erkenn­baren, als "Meer" bezeich­neten Ober­flächen­struk­turen) überführt seine digitalen optischen Reize, die er der nächt­li­chen Reflexion des Mond­lichts auf der Wasser­ober­fläche abgewinnt, in ein Flirren von hellen Licht­punkten auf schwarzer Fläche, die mit einem akus­ti­schen Sirren in Resonanz stehen. Sehen und Hören inten­si­vieren sich als sich selbst genügende Akte. Eine Art sphäri­scher Musik sugge­riert einen Moment eksta­ti­scher Entrückt­heit, der Mond und Auge verschmelzen lässt, ehe das Rund in der Mitte der Leinwand sich als Leere entpuppt, als Nega­tiv­form für etwas, das wieder erscheinen kann. Fruhauf lässt dabei eine analoge Aufnahme im digitalen Format aufgehen. "Die foto­che­mi­sche Schicht eines Film­strei­fens wurde von Wasser zerstört und legt sich nun wie ein Schleier über die digitale Aufnahme," so kommen­tiert Fruhauf. Reflexion im konkreten physi­ka­li­schen Sinn der Spie­ge­lung wird zu einer meta­phy­si­schen Speku­la­tion.

(Wolfgang Lasinger - artechock Filmmagazin)

Some time ago I was able to take a photograph that was as fascinating as it was ordinary: the reflection of the full moon on the surface of the sea. The allure of this double reflection of sunlight, from the moon over the surface of the water, brought me to the third level of reflection – the play of light on the cinema screen.  

Mare Imbrium forms a cinematic genesis, generated from the preconditions of seeing. Everything begins with particles of light, elementary particles from reflections of a body on a moving subsurface. The shimmering, dancing particles are captured in one figure, then in two others in the midst of black, with an increasing crackling orchestrating the rhythm. These constructed extracts of a reality made of a body and light transform into a kind of electro-magnetic field, into an asemantic noise. A roaring rainfall and foaming spray, a sea of rain (the German name for Mare Imbrium, the name given to one of those dark places on the moon) emerges associatively from the visual swarm. Thus begins a journey through space and time using the simplest means. In this new, post- or meta-physical state, the shape of the particles takes on a life of its own, becomes more abstract, or forms itself into a system of signs, a code; it is as if letters are flying through space, a new, video-graphic alphabet. The experimental demiurge, who brings forth this flurry of forms in a foreign script, now appeals to the power of his machine to realize the proto-aesthetic, non-material obstinacy of the image and its movements in a creaturely delirium. A kind of electronic drip painting. A chaosmos of light and supernatural bodies. And analogies are created. Suddenly the analog moon becomes visible, appearing above an analog eye, pupil and moon unite, a new way of seeing. In the final phase, a kind of skin, a porous membrane – the photochemical layer of a film strip destroyed by water – is laid over the moon, its organic being oscillating with the flux of the vibrating New Matter. And then the particles shimmer one last time, disappearing into nothingness. A powerful, creative visual act.

(Marc Ries, with passages in italics by Siegfried A. Fruhauf)

 

To see the moon, you can look up at the sky at night. Or in this film, watch the light reflections on the screen as they first digitally, then analogue, turn into a moon. White on black, Mare Imbrium delivers a fascinating spectacle of oceans of tears and moon eyes.
(Michael Pekler - Diagonale)

 

 

Moon watching

This is not the first time that director Siegfried A. Fruhauf has observed the sky and all the beauty it has to offer us. One only has to think, for instance, of the interesting experimental short film Realtime (2002), in which through the observation of a celestial body, magic happened on the movie screen. In the case of the short film Mare Imbrium, which premiered at the Diagonale 2024 as part of the Innovatives Kino section, however, the moon is the main protagonist. In how many ways can we observe the moon? And, above all, how can we fully enjoy all the beauty that such a vision is capable of conveying to us?

In Mare Imbrium, therefore, we are not shown the moon directly. Or, anyway, not immediately. A few white dots appear on the screen on a totally black background. What could this possibly be? Gradually, these dots become many more and we soon realise that what we are seeing is indeed the reflection of the moon on the sea at night. Extremely minimalist music (by Siegfried A. Fruhauf himself) accompanies us throughout the screening, often reminding us precisely of the sound of the waves of the sea.

As already mentioned, therefore, in Mare Imbrium it is the moon the great protagonist. Similarly, however, what the director reflects on is first and foremost the concept of projection. The image of the moon projected onto the surface of the sea, when there is no other source of light to ‘disturb’ the event, is filmed first digitally, then analogically. The sea, in turn, becomes effectively a projection canvas. And so, once again, our beloved cinema comes into play. This wonderful spectacle is in turn projected onto a movie screen. Cinema and metacinema. But how is the world of the seventh art changing?

In Mare Imbrium, Siegfried A. Fruhauf knows exactly what he wants to communicate to us. We understand this immediately at the moment when the digital images turn into analogue images, and then become digital again according to a precise elliptical structure. Nowadays, the way of understanding filmmaking has changed a lot compared to what it was in the past. Yet, the fascination of films shot on film remains unchanged. What awaits us in the future?

Mare Imbrium does not (apparently) want to give any certain answers about this, but in inviting us to reflect on the matter, it offers us a spectacle of magnetic charm and undoubted beauty. Often there is no need for special effects to remain as if hypnotised in front of a movie screen. Siegfried A. Fruhauf knows this well, and in staging this precious little film of his, he has paid attention to every detail. His Mare Imbrium is a true visual and auditory experience. A short film more relevant than ever. A sincere and reverent declaration of love to the seventh art.
(Marina Pavido - Cinema Austriaco)